Xatar – Der einzige deutsche Rapper, der Gangster ist - WELT (2024)

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Um eine Ahnung vom Paradies zu bekommen, muss man einmal durch die Hölle gegangen sein. Oder sich ein Musikvideo von Giwar Hajabi angucken. Dort sind die Autos immer teuer, der Schmuck meist vergoldet und die Anzüge garantiert maßgeschneidert. Das Leben ist ziemlich gut in diesen Videos. Sie spielen in Dubai, auf Luxusyachten und in Teehäusern. Probleme gibt es hier nicht. Nur Reichtum und Statussymbole und manchmal auch schöne Frauen.

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Vielleicht hat Hajabi so ein gutes Gespür für das irdische Paradies, weil er bereits in der Hölle war. Sie liegt in einer trockenen Berglandschaft mitten im Nirgendwo. An einem Ort, an dem die Hitze einem den Verstand raubt. Ein Ort, an dem ständig irgendwer von irgendwem erschossen wird. In der Hölle des Giwar Hajabi hat ein Menschenleben seinen Wert verloren.

Drei Monate wurde er im kurdischen Autonomiegebiet des Nordirak gefangen gehalten und fühlte sich dem Tod näher als dem Leben. Einmal bekam er Besuch von einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft. Er wollte wissen, ob man ihn hier foltern würde. Nein, er werde „natürlich nicht gefoltert“, antwortet Hajabi, neben dem vier Wärter stehen, die ihm zuvor tagelang die Fingerkuppen gegen heiße Herdplatten gedrückt haben. So lange, bis seine Haut ganz schwarz war. Wie verbranntes Plastik.

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Giwar Hajabi ist besser bekannt unter seinem Künstlernamen Xatar. Xatar ist bis heute Deutschlands einziger Gangsta-Rapper, der wirklich zum Gangster wurde. Sonst ist das ja immer umgekehrt. Da schöpfen die Künstler ihre Kunst aus dem Leben. Hajabi schöpft sein Leben aus der Kunst. Im Juni 2010 überfiel er mit vier Komplizen einen Goldtransporter und erbeutete rund 1,7 Millionen Euro. Nach einer spektakulären Flucht über Moskau fassten deutsche Zielfahnder ihn im Irak. Dort suchte er Zuflucht, wurde von dem kurdischen Geheimdienst aber eingesperrt, als man herausfand, mit wem man es zu tun hatte.

Zurück in Deutschland wurde er dann zu acht Jahren Haft verurteilt. Seit Weihnachten ist der 34-Jährige wieder auf freiem Fuß. Anfang Mai bringt er sein neues Album auf den Markt. Es heißt „Baba aller Babas“. Soweit die Fakten.

„Scheiße bauen, das gehörte irgendwie dazu“

Es gibt Geschichten, bei denen man keinen Anfang findet, weil ihr Ende schon alles überschattet. Die Geschichte von Giwar Hajabi ist eine solche Geschichte. Man könnte sie auf viele Arten erzählen. Als die Geschichte eines Mannes, der in konsequenter Regelmäßigkeit die falschen Entscheidungen getroffen hat. Als die Geschichte eines Mannes, der geworden ist, was er ist, weil die meisten Menschen in ihm weniger sahen als er selbst.

Ihren Anfang finden alle diese Geschichten an Heiligabend im Jahr 1982. An diesem Tag wird Giwar Hajabi als Sohn eines Dirigenten und einer Lehrerin in einem kleinen Dorf im Iran geboren. Ein Land, gezeichnet von der Islamischen Revolution, die gerade beginnt, ihre Eliten zu fressen. Die Familie Hajabi flieht über den Irak nach Deutschland. Giwar landet mit seiner Familie in Bonn. Als Asylant. Er wächst auf dem Brüser Berg auf. Ein Wohnviertel auf der Hardthöhe, in dem sich reiche Diplomatenfamilien genauso angesiedelt haben wie einkommensschwache Migranten und Sozialhilfeempfänger.

Sie sahen in mir immer den Asi-Kanaken. Also habe ich ihnen irgendwann den Asi-Kanaken gegeben.

„Ein gefährlicher Mix“, sagt Hajabi heute. „Die Kanaken blieben unter sich. Egal ob aus gutem oder aus schlechtem Elternhaus. Und die Jungs, die ein bisschen klüger waren, haben den Jungs, die ein bisschen gewaltbereiter waren, gezeigt, wie man ein Verbrechen begeht, ohne dabei erwischt zu werden.“ Alles deutet darauf hin, dass Giwar zu den Jungs gehören würde, die ein bisschen klüger waren. Sein Vater legt Wert darauf, dass er eine musikalische Ausbildung genießt. Ein Gymnasium besucht.

Aber den Anschluss an seine Klassenkameraden, den hat er trotzdem nie gefunden. „Ich konnte Deutscher als die Deutschen sein, aber ich war doch keiner von ihnen. Sie sahen in mir immer den Asi-Kanaken. Also habe ich ihnen irgendwann den Asi-Kanaken gegeben.“ Direkt neben dem Gymnasium liegt auch die Real- und die Hauptschule. Dort findet er seine Freunde. Sie nennen sich die „Brüser Berger Asis“. Die BBA.

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„Scheiße bauen, das gehörte irgendwie dazu.“ Schlägereien, kleine Einbrüche. Erst, um sich selbst etwas zu beweisen, dann, um allen anderen etwas zu beweisen, und schließlich, um „para“ zu machen, um Geld zu verdienen. Im Jahr 2005 wurde eines dieser Geschäfte dann zu heiß. Die Polizei sucht Hajabi per Haftbefehl. Verdacht auf Drogenhandel. Er setzt sich nach London ab, wohnt bei Verwandten. Und beginnt ein Studium an der London Metropolitan University. International Business und Music Business.

Das Studium erfüllt ihn nicht. Er will keine Theorie, er will die Praxis. Musik nicht nur vermarkten, sondern sie auch machen. Zu einer Zeit, in der sich der Untergrund den Mainstream erschließt, als deutsche Rapmusik auf dem Vormarsch ist, Aggro Berlin der Gesellschaft einen Spiegel ihrer sozialen Probleme vorhält, da beschließt Giwar Hajabi, zu Xatar zu werden. Zu einem Gangsta-Rapper. Und das Schicksal, das seine Geschichte wurde, nimmt seinen Lauf.

Mit einem geschmuggelten Handy nahm er ein Album auf

Anfang 2014. Die Flure der JVA Rheinbach riechen nach Linoleum, die Mauern sind hier meterhoch. Auf ihnen rollt sich der Stacheldraht. Von innen, sagt Hajabi, ist es so ausladend, wie man es sich von außen vorstellt. In Hajabis Zelle gibt es kaum etwas Persönliches. Nur einen Gebetsteppich und einen Kalender. Der gibt ihm Struktur. Hier trägt er seine Releases ein. Xatar macht heute nicht mehr nur Musik, er vermarktet sie auch. Theorie und Praxis in einem. Er hat sein eigenes Label gegründet. Es heißt: Alles oder Nix Records. Der Name hätte auch der Untertitel seines Lebens sein können.

Es ist nicht so einfach für einen Labelchef, im Knast zu sein. Hajabi hat nur begrenzten Internetzugang, vieles muss per Post geregelt werden. Und telefonieren kann er auch nicht regelmäßig. Theoretisch zumindest. Praktisch gibt es da Mittel und Wege für jemanden wie ihn. Irgendwie hat er es geschafft, sich ein Handy in die Zelle zu schmuggeln. Über Details kann er nicht reden. Das Handy, ein altes Nokia 7210 aber, das kann er sagen, das war für ein paar Monate sein Tor zur Welt. Er konnte mit Geschäftspartnern sprechen und Verträge abwickeln.

Wenn du merkst, dass deine Mutter um Dich weint, weil sie krank vor Sorge ist, dann merkst Du, das etwas gewaltig schief läuft in deinem Leben

„Klar war das komisch. Da telefonierst du mit Vertriebspartnern, und die denken sich, warum flüstert dieser Idiot die ganze Zeit. Ich kann denen ja nicht erklären, dass ich in der hintersten Ecke meiner Zelle stehe und auf keinen Fall riskieren kann, erwischt zu werden.“ 2010 veröffentlichte er ein Album. „415“ hieß es. Das ist seine Gefangenennummer. Er hat fast alle Tracks im Knast eingespielt. Dank dieses alten Handys, des Nokia 7210. Ein Kumpel spielte ihm nachts über das Telefon die Beats vor, und er rappte, so gut er eben konnte, auf ein Diktiergerät.

Die Bänder verschickte er per Post. Gerade als er einen wichtigen Deal mit Amazon abschloss, da erwischten sie ihn. Das Handy kam weg, Xatar in Einzelhaft, und sein Album stieg auf Platz 19 der deutschen Charts ein. Mit bunten Textmarkern markiert Hajabi jetzt die Erscheinungsdaten der CDs seiner Künstler. Er hat eine alte Freundin unter Vertrag genommen. Sie war früher mal Prostituierte, heute ist sie Rapperin. Sie nennt sich Schwesta Ewa. Eine ehemalige Hure die rappt. Ein Gangster, der sein Album im Knast einspielt. Längst ist Alles oder Nix Records zu einem Kultlabel geworden.

Hajabi geht jetzt auch zum Antiaggressionstraining. Er habe da gelernt, dass nicht jede Aktion eine Reaktion erfordert, sagt Hajabi. Sein bisheriges Leben liest sich wie eine Kette von Reaktionen, die er irgendwann nicht mehr kontrollieren konnte. Jetzt sei das anders. Sagt Hajabi. „Jetzt habe ich gelernt, mich auch mal aus einer Situation rauszunehmen, ohne dass ich als Feigling dastehe.“ Sein Gruppentherapeut hätte sich über einen solchen Satz bestimmt gefreut. Hajabi denkt viel nach. Über sich und seine Situation. Er hat ja auch viel Zeit. Er will lieber nach vorne denken, aber das gelingt ihm nicht immer. „Wenn du merkst, dass deine Mutter um dich weint, weil sie krank vor Sorge ist, Bruder, dann merkst du, dass etwas gewaltig schiefläuft in deinem Leben.“

Eine Eskalation brachte ihn in die Mainstream-Medien

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Als aus Giwar Hajabi im Jahr 2007 Xatar wurde, kam er mit einem Koffer voller Songs zurück an den Rhein. Sein Haftbefehl wurde gerade aus Mangel an Beweisen aufgehoben. Jetzt wollte er als Rapper durchstarten. „Heute regnet es Kugeln in der Nacht, es wird nie wieder gelacht, ihr habt Xatar sauer gemacht / Ich pack links mein Schlagring, rechts meine Axt. Ich hör nicht auf, bis ich höre, wie dein Schädelknochen knackst“ verbalisierte er damals noch recht ungelenk sein halb imaginiertes, halb reales Straßenleben auf Tonspur.

Es reichte, um Aufsehen zu erregen. Und es dauerte nicht lange, bis er für einen ersten Liveauftritt gebucht wurde. Vielleicht war es kein gutes Timing, oder es war das perfekte Timing, so ganz genau lässt sich das schwer beurteilen. Jedenfalls drohte in der Welt von Giwar Hajabi, der jetzt Xatar war, zu diesem Zeitpunkt wieder einmal Ärger. Straßenärger. Er hatte gerade Stress mit den falschen Leuten, und die falschen Leute kündigten an, dass sie bei seinem Auftritt vorbeischauen würden.

Xatar wollte nichts mehr falsch machen, seine junge Karriere nicht gefährden. Darum engagierte er ein paar Freunde, um für Sicherheit an diesem Abend zu sorgen. Einer von den Freunden war betrunken. Und er hatte eine Gaspistole dabei. Xatar lernte an diesem Abend, dass es keine so kluge Sache ist, jemanden für die Sicherheit zu engagieren, der betrunken ist und eine Gaspistole bei sich trägt. „Versehentlich“, wie Xatar heute beschwört, feuerte der betrunkene Sicherheitsmann einen Schuss aus seiner Gaspistole ab, mitten auf der Bühne, und dann musste der ganze Saal evakuiert werden, und das erste Konzert von Xatar war vorbei.

Es hätte auch das Ende von Xatar sein können. Das Gegenteil war der Fall. Zufällig war an dem Abend auch ein Fernsehteam von RTL2 vor Ort. Die Redakteure hatten die Gelegenheit, die Eskapaden eines echten Straßenrappers live mitzuerleben. Einen, der nicht nur über Ärger spricht, sondern einen, der auch wirklich Ärger macht. Man hielt Kontakt. „Ursprünglich wollten sie einen Beitrag über uns bringen, aber das war irgendwem in der Chefetage dann wohl zu heikel“, erinnert sich Xatar zurück. Als Entschädigung bot man ihm einen Platz in dem Sendeformat „Der Bluff“ an.

In der Sendereihe darf ein Proband für vier Wochen in eine ihm fremde Lebenswelt eintauchen. Zur Seite stehen ihm Experten als Coaches. Xatar wurde zum Coach. Und durfte das personifizierte Klischee eines Literaturstudenten in wenigen Tagen zum Gangsta-Rapper umerziehen. Zur besten Sendezeit. Vor einem Millionenpublikum.

Party in der „Playboy“-Mansion endete im Knast

Plötzlich kannte man Xatar auch außerhalb von Bonn. Die Maschinerie lief an. Es folgte ein erstes Album. Und das Angebot, den Titeltrack für den Kinofilm „Kopf oder Zahl“ einzuspielen. Xatar nahm an. Der Song wurde sein bis dato größter Erfolg. Radioairplay, Chartplatzierung, und auf Viva sah man den rheinländischen Gangsta-Rapper jetzt auch. Bei der Filmpremiere lernt Xatar jemanden kennen, der jemanden kennt, der ihn auf eine Party nach Los Angeles einlädt. In Hugh Heffners „Playboy“-Mansion. „Da musst du nicht nachdenken. Da gehst du hin, wenn du eingeladen wirst“, sagt Xatar. Partys in der „Playboy“-Mansion haben einen gewissen Ruf.

Xatar hat auch einen gewissen Ruf. Er wurde ihm an diesem Abend gerecht, als er mit einer weiblichen Besucherin aneinandergeriet. Sie rempelt ihn an, er verschüttet sein Drink über ihr Kleid, sie schlägt zu, er zurück. „Bruder, ich schwöre dir, bis heute bin ich ganz sicher, irgendjemand hat mir etwas in den Drink geschüttet. Normalerweise werde ich von Alkohol nicht so aggressiv“, sagt er heute. Die größte Party seines Lebens endet im Los Angeles County Jail.

Xatar – Der einzige deutsche Rapper, der Gangster ist - WELT (1)

Als Xatar sich aus Los Angeles zunächst mit einer Kaution von 50.000 Euro freikauft und dann vor einem Prozess über die mexikanische Grenze aus dem Land flüchtet, hat er es geschafft, sein Image als Gangsta-Rapper endgültig zu manifestieren. Auf den Straßen von Köln und von Bonn ist er jetzt wer. Ein Baba, eine Art kurdischer Pate. Er verkörpert diesen Lebensstil voll und ganz. Kaschmirmäntel, Zigarren, teure Autos mit glänzenden Felgen. Doch ein solches Image kostet Geld. Zwar war Xatar in den Boulevardmagazinen halbwegs bekannt, doch seine Platten verkauften sich trotzdem nicht sonderlich gut. „Zu dieser Zeit brauchte ich übertrieben Geld“, sagt er rückblickend.

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Und wer Geld braucht, ist für viele Dinge offen. Xatar war offen für einen Vorschlag, dem ihn jemand unterbreitete. Ein Vorschlag, der alles verändern sollte. Im Dezember 2009 zog sich Giwar Hajabi ein Polizeikostüm an, setzte sich mit fünf Komplizen in ein Auto, winkte einen Geldtransporter zum Standstreifen, legte dem Fahrer Handschellen an und verschwand mit Gold im Gesamtwert von 1,8 Millionen Euro.

Es dauerte nicht lange, bis die Fahnder ihm auf die Spur kamen. Xatar setzte sich ab. Zunächst nach Moskau. Dann in den Nordirak. Ihm war klar, dass eine lebenslange Flucht keine Option ist. Er wollte nur untertauchen, bis sein Anwalt einen Deal mit der Staatsanwaltschaft rausgeschlagen hat. Seine einzige Bedingung: Er wollte nicht direkt in Untersuchungshaft, sondern bis zu der Verhandlung auf freiem Fuß bleiben.

Als der kurdische Geheimdienst aber herausfand, wer er war, bot man ihm an, den deutschen Behörden mitzuteilen, dass er tot sei. Ihm neue Papiere zu besorgen. Er müsse nur verraten, wo denn das Gold versteckt sei. Als Xatar schwieg, begann die Folter. Das Gold, das hat man bis heute nicht gefunden. Als die deutschen Zielfahnder ihn nach drei Monaten dann aufgriffen, wo er sich versteckte, bis man ihn einsperrte, wo man ihn monatelang prügelte, da brachten sie ihn in ein Flugzeug, ein Flugzeug voll mit Polizeibeamten, und sie guckten ihn an, mit einem Lächeln, und sagten: „Endlich“. Und Hajabi dachte das in diesem Moment insgeheim wohl auch. Endlich.

Ein „sauberes“ Verbrechen hilft beim Marketing

Der Glamour vergangener Tage wurde in der JVA nur noch zu einer blassen Erinnerung. An manchen Tagen half sie ihm, dieses Leben, das nur noch die Summe von sich wiederholenden Momenten ist, zu überstehen. Jeden Tag derselbe Ablauf. Jeden Tag dieselbe Zelle. Seine Welt ist jetzt klein, grau und viereckig. Hier ist alles steril. Alles eintönig. Man könnte auch sagen: geordnet. „Eintönig trifft es besser“, sagt Hajabi. Geordnet war es vorher ja auch. „Nur anders geordnet eben.“ Auf seine Art.

Hajabi nutzt die Zeit, die er hat, um nachzudenken. Er denkt viel nach. Auch über das, was noch kommen soll, wenn er wieder frei ist. Wenn seine neue CD erscheinen wird. Er weiß, dass es ihm zugute kommt, dass er ein „sauberes“ Verbrechen begangen hat, wie er sagt. Dass er bei seinem Raub niemandem körperlich geschadet hat. Er weiß, dass er Deutschlands einziger Gangsta-Rapper ist, der sich die Bezeichnung auch erlauben kann. Er verarbeitet das in seinen Songs. In einem fordert er seine Fans auf, sie mögen ihn doch bitte nicht mehr bei Facebook suchen, sondern bei Interpol.com. Dort hätte er mittlerweile auch ein Profil.

Xatar nimmt durchaus wahr, dass es im Internet eine Solidaritätswelle für ihn gegeben hat. #freexatar hashtaggten da die Menschen bei Facebook und bei Twitter. Für viele ist er eine Art Held. Ein Straßenheld. Ein Underdog, der sich von der Gesellschaft genommen hat, was ihm zustehe, weil die Gesellschaft ihm nicht die Chance gegeben hätte, die er verdient. Hajabi weiß wohl, dass die Geschichte so nicht ganz richtig ist. Aber er weiß auch, dass sich viele junge Menschen, die selber keine Perspektive haben, damit identifizieren können.

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Die Geschichte von Giwar Hajabi ist im Grunde genommen eine sehr deutsche Geschichte, nur spielt sie nicht im Zentrum, sondern an den Rändern dieser Gesellschaft. Dort wiederholt sie sich täglich, in abgeschwächter Form. Dort, wo niemand so gerne hinschaut.

Jetzt könnte er seinen größten Coup landen

Jetzt ist Giwar Hajabi wieder frei. Er wurde nach fünf Jahren vorzeitig entlassen. Ob er geläutert sei? „Natürlich habe ich aus der Sache gelernt“, sagt Xatar. „Ich habe gelernt, dass es Dinge gibt, die sich nicht lohnen.“ In seinem Studium hätte er das wohl als Kosten-Nutzen-Rechnung verbucht. Fünf Jahre Gefängnis für einen Überfall. Aber geläutert? „Was geläutert? Ich habe getan, was ich getan habe. Und dafür wurde ich bestraft. Das ist Teil meines Lebens.“

In meinen Augen stiehlt jeder Mensch. Der einzige Unterschied: Ich hatte die größeren Eier

Hajabi hat da eine recht eigensinnige Philosophie entwickelt. „Weißt du, in meinen Augen stiehlt jeder Mensch. Der eine klaut Kaugummis, der andere hinterzieht Steuern, wenn sich die Gelegenheit bietet. Und auch ich hatte eine Gelegenheit. Und habe geklaut. Der einzige Unterschied: Ich hatte die größeren Eier.“

Im Mai erscheint sein neues Album. Die ersten Videos, die er ausgekoppelt hat, wurden gut angenommen von den Fans. Millionenfach geklickt auf YouTube. Xatar stilisiert sich jetzt als „Baba aller Babas“. Als Gangsterboss. Unantastbar. Und wer sich seine Deluxe-Box vorbestellt, bekommt eine vergoldete Kette mitgeliefert. Marketing beherrscht er.

Das Album soll auch von den Einsichten handeln, die er im Gefängnis gewonnen hat. Das ewige Streben nach Reichtum, nach einer besseren Welt, was uns dann doch nur verkommen lässt – wenn die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgeht. Die Vorverkaufszahlen sind ziemlich gut. Die Chartspitze sollte ihm sicher sein. Und würde er 100.000 Einheiten verkaufen, überreicht die Musikindustrie ihm dafür ganz offiziell eine goldene Schallplatte. Das wäre sein wohl größter Coup.

Xatar: „Baba aller Babas“, Alles Oder Nix Records. Erscheint am 01. Mai 2015

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